Auch wenn es in unserem Leben Herausforderungen oder Prüfungen gibt, die wir nicht verstehen können, so ist das auch ein Teil der g-ttlichen Vorsehung.
Um das zu begreifen, müssen wir zunächst ein weiteres Konzept einführen.
Die Mishna in Awot (Kap. 6, Mischna 2) sagt uns:
„Sagt Rabbi Jehoshua Ben Lev: Jeden Tag gibt es G-ttes Stimme vom Berg Horeb, die sagt: Wehe den Menschen, die die Thora beleidigen! Denn jeder, der sich nicht mit der Thora beschäftigt, wird getadelt sein!“
Eigentlich wird hier jemand bezeichnet, der die Thora überhaupt nicht lernt. Aber das kann man nicht sagen.
Denn im Talmud (Sanhedrin S.99a) steht, wenn jemand die Thora nicht lernt, ist das viel schwerwiegender, als nur getadelt zu werden.
Die Erklärung ist:
Wenn die Mishne davon spricht, „getadelt zu werden“ ist das viel schlimmer, als nur getadelt zu werden, denn er hat G-ttes Wort entwürdigt.
Wenn die Mishne sagt: „jemand beschäftigt sich nicht mit der Thora“ ist nicht gemeint, dass der Mensch überhaupt nicht lernt.
Das Hauptaugenmerk wird auf das Wort „beschäftigt“ gelegt.
Das bedeutet, er lernt zwar Thora, aber er beschäftigt sich nicht damit.
Darin liegt sein Fehlverhalten. Deswegen wird er getadelt.
Das Wesen von „Beschäftigung“
Was aber bedeutet Beschäftigung?
Man muss auf ein Geschäft schauen. Das Hauptziel eines Geschäfts ist es, Gewinn zu erzielen.
Der Talmud erzählt uns (Bava Metzia S.40b):
Es ist möglich, dass ein Mensch den ganzen Tag hin und her rennt, kauft und verkauft, schwer arbeitet, aber kein Geld verdient. Niemand wird ihn als einen erfolgreichen Geschäftsmann bezeichnen. Der Mensch arbeitet zwar, aber er macht kein Geschäft.
Ähnlich ist es mit Thora-Lernen.
Es kann sein, dass der Mensch von morgens bis abends Thora lernt, aber das bedeutet nicht, dass er sich mit der Thora beschäftigt, weil er nicht an den Gewinn beim Thora-Lernen denkt.
Was ist aber mit Gewinn gemeint?
Welchen Gewinn muss ein Mensch erzielen, wenn er Thora lernt?
Das Lernen muss den Menschen dazu bringen, das Ziel der Welt zu erfüllen.
Und das Ziel ist, die Welt zu einem Zuhause für G-tt zu machen.
Mit anderen Worten: Es ist nicht ausreichend, wenn ein Mensch Thora einfach nur so lernt, sondern er soll Thora lernen und dabei einen Gewinn erzielen:
Den Gewinn, die Welt zu einem Zuhause für G-tt zu machen.
In Tanya (Kap.36) wird erklärt, dass dieses Ziel der Welt nicht durch die oberen Welten erfüllt werden kann, z.B. durch die Welt der Engel oder die Welt der Seelen.
Das Ziel kann nur durch diese Welt, unsere physische Welt, erfüllt werden.
Denn G-ttes Wunsch ist, dass man gerade in die Welt, in der Dunkelheit herrscht, Licht bringen soll.
Und je größer die Dunkelheit, desto größer ist auch die Auswirkung des Lichts.
Aus diesem Grund erscheint unsere Welt als eine von G-tt unabhängige Welt. Denn so wollte es G-tt. ER wollte ein „Zuhause“, gemacht durch die Menschen, eine Umgebung, die durch die Menschen mit ihren eigen freien Willen geschaffen wird.
Die Aufgabe eines Menschen ist es, diese Wahrheit zu entdecken. Das geschieht durch die Thora und die Mitzvot.
Der Mensch soll entdecken „ejn od milvado“, dass das die Wahrheit der Schöpfung ist, dass alles G-tt ist.
Aber diese Wahrheit ist versteckt. Und die Welt um uns herum sieht wie eine unabhängige Existenz aus.
Die Aufgabe ist es, diese Wahrheit zu entdecken!
Im Chassidismus wird erklärt, dass trotzdem die Welt unabhängig erscheint, in Wirklichkeit jede Existenz ein Ausdruck von G-ttes Wort und Energie ist.
Und wenn G-tt nur für einen kurzen Moment innehalten würde, die Welt zu erneuern, würde diese nicht mehr existieren.
Das haben wir in den letzten shiurim am Beispiel des Steins, der in die Luft geworfen wird, gelernt.
Vor der Erschaffung der Welt war nichts.
Wie ist die Welt entstanden?
G-tt mit seinen unbegrenzten Kräften hat entschieden, eine begrenzte Welt zu schaffen.
ER hat gesagt, es werde Licht und es wurde Licht.
ER hat aus nichts eine Welt erschaffen.
So ist es doch nur verständlich, dass die Welt nicht unabhängig sein kann.
Dieses Konzept hilft uns, einen tieferen Einblick in die g-ttliche Vorsehung und die Einzigartigkeit G-ttes zu bekommen.
Selbstverständlich müssen wir uns darum bemühen, denn es widerspricht der natürlichen Neigung, die Welt als unabhängige Existenz anzunehmen.
Die Einzigartigkeit von G-tt bedeutet, dass es nur eine Existenz gibt.
Es gibt nicht G-tt und die Welt, sondern es gibt nur eines: G-ttlichkeit!
Die Aufgabe, dieses „Zuhause“ für G-tt zu schaffen, ist die Aufgabe von bnei israel.
Denn die Thora wird Licht genannt und eine mitzva wird eine Kerze genannt.
Die neshamot wurden von der oberen Welt hinuntergeschickt.
So wie es im Sohar steht, wurden die neshamot unter G-ttes Stuhl ausgewischt.
Dadurch, dass der Mensch die Welt erleuchtet, verändert er die gesamte Umgebung.
Das passiert aber nur, wenn Meschiach kommt.
Wir in unserer Welt wissen, dass G-ttes Licht versteckt ist.
Aber durch jede gute Tat erobern wir ein Stück Welt.
Das ist die Bedeutung von „Beschäftigung mit der Thora“
Wenn sich jemand nicht mit der Thora beschäftigt, sagt man zu ihm: „Wehe dir!“, denn er glaubt nicht, dass die Thora auf die Welt wirken kann.
So bekommen wir einen tieferen Einblick in die g-ttliche Vorsehung.
Denn wenn alles so abhängig ist, ist alles natürlich auch vorhergesehen!
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